Unter den Gastronomen sind wir die Exoten.

Das «From Heaven» in Bad Ragaz ist ein Ort, der sich in keine Schublade stecken lässt. Hier setzen Sylvio Rodrigues und sein Team ihre eigenen Ideen konsequent um.

Erster Halt: «From Heaven». Das Lokal liegt keine 100 Meter vom Bahnhof in Bad Ragaz entfernt. Im ehemaligen Hotel Bristol. «Es wurde 1906 gebaut, damit sich die Urlauber aus England akklimatisieren konnten, bevor es weiter hinauf in die Berge ging», erzählt Sylvio Rodrigues, Eigentümer der Tapas-Bar mit dem himmlischen Namen. Die Exotik, die die Alpen vor über hundert Jahren auf Reisende von der Insel ausgestrahlt haben muss, weht heute noch durch den Jugendstilbau. Zumindest was das gastronomische Konzept betrifft. Denn Sylvio ist Quereinsteiger, Kulturliebhaber und Freigeist, der Dinge gerne gründlich hinterfragt.

Mehr denn als Gastronom sieht er sich als Manager: «Ich habe das Team zusammengestellt, das alles auf den Boden gebracht hat. Wir hatten vorher einen Club, ich bin älter geworden und habe irgendwann gesagt, ich möchte einen Treffpunkt für alle Altersgruppen – nicht nur für die 18- bis 25-Jährigen.» Club-Betreiber und Start-up-Gründer, der sein neues Lokal durch die Corona-Pandemie navigierte, war er «nur» nebenbei. In der Zwischenzeit ging er weiter seinem Brotberuf nach. «Bis vor einem Jahr war ich in leitender Position bei einer Bank tätig, hatte zehn Mitarbeitende unter mir und hier mehr als zehn Angestellte. Im Oktober 2021 kam mein Kind zur Welt und dann wollte ich mich auf etwas konzentrieren.» Wäre das Projekt «From Heaven» gescheitert, hätte er sich nicht vorwerfen wollen, nicht alles gegeben zu haben. Ob es eine schwere Entscheidung war, die Bank zu verlassen? «Finanziell schon, emotional nicht. Ich bin hier bei meiner Familie und in meiner Heimat. Sylvio ist in der Nähe aufgewachsen und kannte das Gebäude vom Vorbeilaufen. Als die Treffpunktidee in ihm zu arbeiten begann, stand das Lokal bereits 15 Jahre leer und die Hotelzimmer waren bereits zu Eigentumswohnungen umgebaut worden. Nur für den Marmorsaal fand sich kein Interessent. Sylvio hat das Potenzial erkannt und entschied sich, das Lokal zu kaufen. Die Verhandlungen waren zäh», erinnert er sich. «Sie zogen sich so lange hin, bis sogar die Partnerin des Besitzers darauf drängte, es zu verkaufen», lacht Sylvio.

Gastronomische Besonderheiten

Das «From Heaven» zu beschreiben ist nicht ganz leicht. Mit seinen hohen Räumen und prachtvollen Lustern wirkt es wie ein Wiener Ringstrassen-Caféhaus, die moderne Kunst bringt Atelier-Atmosphäre rein und die Speisekarte ist sowohl international als auch regional.

«Die Räume sind einzigartig, megaschön und das Gebäude hat eine tolle Message.»
Sylvio Rodrigues

Was auf den ersten Blick nicht zusammenpassen will, hat seine eigene innere Logik. «Wir haben uns für eine Tapas-Bar entschieden, weil man sich dort nicht fehl am Platz fühlt, wenn man nur etwas trinkt. Trotzdem kann man etwas zu Mittag oder zu Abend essen. Für ein Bistro wäre die Architektur zu abgehoben gewesen. Wir reduzieren uns auch nicht auf spanische Tapas – inhaltlich sind wir sehr offen. Hauptsache, die Portionen sind klein, flexibel und laden zum gemeinsamen Geniessen ein.» Sylvio demonstriert die Sitzhaltung und den Blick hinunter auf die Tischplatte, wenn das Essen auf dem Teller serviert würde: «Das ist eine Katastrophe, das ist nicht kommunikativ.» Er dreht sich zu uns und zeigt, dass es eine kommunikative «Schnittstelle» gibt, wenn sich jeder sein Essen von der Tischmitte holt.

Das From-Heaven-Team beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie man die Erfahrung des Gastes verbessern kann. Wie wird das Essen konsumiert? Wie kann es mehr Spass machen, farbiger aussehen, kontrastreicher schmecken? Um auf neue Ideen zu kommen, lädt Sylvio einmal im Jahr einen externen Coach zu einem Workshop ein. Beim Wandern in der Natur werden dann neue Ideen entwickelt.

Für Mario Thaler, erster Koch des Lokals und heutiger Geschäftsführer, war es eine völlig neue Erfahrung, frei denken zu dürfen und nicht in den festgefahrenen Strukturen einer Küchenbrigade arbeiten zu müssen. Das Geheimnis seiner Speisekarte? «Wir bieten Gerichte mit einem Twist, verwandeln zum Beispiel ein einfaches, klassisches Cordon-Bleu in Tapas, indem wir es rollen und in kleine Stücke schneiden. Das Feedback darauf ist gewaltig», lacht er.

«Es muss nicht das Teuerste sein – aber es muss besonders sein.»
Mario Thaler

Wein: regional und mit Geschichte

Im Gegensatz zu Kaffee und Kuchen funktionieren Tapas auch am Abend. Sylvio: «Ich persönlich mag das Abendgeschäft und ich finde auch eine gute Weinkarte wichtig.» Beim Zusammenstellen hat ihm Francesco Benvenuto, Sommelier des Jahres 2018, geholfen. Der Fokus liegt auf der Region, mit vereinzelten Positionen aus dem Ausland. Sich nur die Expertise eines Sommeliers zu holen, wäre wohl nicht individuell genug gewesen. «Wir haben zuerst die Weinkarte geschrieben und danach überlegt, wie wir zu den Weinen kommen. Das ist natürlich der kompliziertere Weg. Zusätzlich haben wir mit einem Freundesystem gearbeitet», erklärt Sylvio. «Wir haben unsere regionalen Winzer nach ihren Empfehlungen gefragt, nach deren befreundeten Winzern. So sind wir an unbekannte, aber besondere Weine gekommen, die man sonst nicht findet und zudem eine Geschichte haben.

Kulturgenuss

Kunst, Musik, Kulinarik – Kultur ist der rote Faden, der sich durch Sylvios Vita zieht. Bereits als Jugendlicher hat Sylvio Unterhaltungsabende organisiert, zum Beispiel Garagendiscos und Events für die Jugend. Während seiner Ausbildung in der Bank hatte Sylvio einen Mentor, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Nachwuchskräfte an Kultur heranzuführen. Das führte ihn zu Konzerten nach London, Salzburg, Prag – mit Führungen, Nachbearbeitung und intensiver Auseinandersetzung mit den musikalischen Werken.

Heute gibt Sylvio seine Liebe zur Kultur weiter – an sein Team, das ein umfassendes Dossier zu allen ausgestellten Werken erhält und im direkten Kontakt zu Künstler:innen und Musiker:innen steht. Vor allem aber an seine Gäste. Er mag es, wenn sie auf neue Gedanken kommen: «Ich bin überzeugt, der Druck ist heute enorm gross. Alles wird schnelllebiger und man muss funktionieren. Das beginnt schon bei der Einschulung. Die Zeit, in der man zusammen sein, gemeinsam abschalten und etwas erleben und geniessen kann, ist aber genauso wichtig. Ich will den Leuten zeigen, dass es neben der Leistungswelt auch noch etwas anderes gibt: eine Welt der Inspiration und Kreativität, die dir wieder Energie gibt.

Diese Welt findet man hier im «From Heaven». Im Kleinen, wie dem kunstvollen Cappuccino, den ein Herz aus Milchschaum ziert. Und im Grossen, wie bei den VIP-Veranstaltungen, wo sich Live-Kunst, Musik und Kulinarik zu einzigartigen Momenten formen. Die Erlöse aus den verkauften Kunstwerken fliessen in die From Heaven Music Stiftung, die sich der Förderung junger Musiker:innen verschieben hat – ein weiteres Kulturprojekt von Sylvio.

Nächster Halt: Cheeky Mermaid

Fünfhundert Meter entfernt vom «From Heaven» befindet sich das Pub Cheeky Mermaid. Das Lokal wollte Sylvio immer schon pachten – wofür er vom Vorbesitzer jedoch Hausverbot bekam. Als dieser dann aber doch aufhören wollte, nahm er über Drittpersonen Kontakt zu Sylvio auf. Sieben Wochen später, es war Anfang April 2022, fand die Wiedereröffnung unter neuem Namen statt. Mit neuem Teppich am Boden und blauen Streifen an der Wand. Die Pläne für einen Grossumbau in eine moderne Bar mit Biergarten liegen bereits in der Schublade. Die gastronomische Reise von Sylvio Rodrigues und seinem Team geht also weiter.

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